20. April 2024 Ihr unabhängiges Lifestyle Magazin L4U
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Heimat – Verblichene Spuren in Berlin

Wo ist mein Berlin?

Ich suche Spuren meiner Vergangenheit, doch kaum etwas ist geblieben. Statt dessen entdecke ich viel grauen Beton, unschön, nichtssagend, ohne Charakter. Schon die ersten Stunden hinterlassen einen bitteren Eindruck, der mir Tränen in die Augen treibt. Was mich traurig macht ist der verschmuddelte Anblick der Strassen und Fassaden. Stahl und Beton einerseits. Glatt, unpersönlich aber pflegeleicht und praktisch. Schön geht anders. Schmutzig und voll von Graffitis andererseits.

Berlin hatte die einmalige Chance, eine einzigartige, europäische Stadt zu entwickeln. Statt dessen ist sie der Macht des Geldes erlegen.

Explizit sind es nur die historischen Gebäude, die erhalten bleiben und aus denen stetig das Geld in die Stadtkasse gespült wird. Sobald man auch nur einige Meter die historischen Sehenswürdigkeiten verlässt, wird man von kühler Profillosigkeit begrüsst.

… und hat es versäumt, die Bonuspunkte dieser geteilten Stadt zu nutzen. Statt dessen regiert seit den ersten Tagen des Mauerfalls die Sprache des Geldes. Bei meinem kurzen Aufenthalt will ich meine alte Heimatstadt neu entdecken und bin entsetzt. 

Was sagt mir der, in die Jahre gekommene Springbrunnen vor dem Galeria-Kaufhaus am Alex mit abgerundeten Sitzquadern am U-Bahn-Eingang? Daneben trübt der alte Springbrunnen aus DDR-Zeit in tiefer Traurigkeit. Denn eine Augenweide ist er sicherlich nicht.

Berlin, wie hast du dich verändert 

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Ich laufe durch die Straßen und frage mich: Wo ist mein Berlin? Es erdrückt mich am neuen Stadtschloss vorbeizulaufen und den Palast der DDR nicht mehr zu sehen. Nicht nur dieses Gebäude, auch viele andere Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht. Wieder beschleicht mich das Gefühl: Die DDR soll aus dem Stadtbild vollständig verschwinden. Nur was sich touristisch ausschlachten lässt, wie der Fernsehturm, bleibt jedoch erhalten. Selbst er war im Gespräch, abgerissen zu werden. Skurril, unrealistisch, hart. Was für ein Land, das den dort geborenen Menschen die Identität entreisst.

Ich bin froh, nur als Gast in Berlin zu verweilen. Dennoch kann ich meine Tränen kaum zurückhalten. Es fühlt sich an wie Identitätsklau. Seit Jahren kämpfe ich im inneren Dialog mit diesem Thema. Ich habe keine Heimat mehr. Die DDR gibt es nicht mehr. Und das, was sich heute Berlin nennt, ist aus meiner Perspektive nur ein geografischer Fleck auf der Landkarte, aber nicht mein Zuhause. Der Pass wurde gewechselt, die Identität ist geblieben. Man kann nicht alles mit dem Satz „Ja willste etwa die DDR wieder zurückhaben?!“ klären. Nein will ich nicht, doch Identität ist etwas Besonderes und lässt sich deshalb nicht mit Staatsideologie auf eine Stufe stellen.

Die Flucht vor dem Gefühl, sich zu verlieren

Die wenigen Jahre reichen heute nicht aus, um in tiefgreifende Veränderungen hineinzuwachsen. Ähnlich erging es den DDR-Bürgern nach dem Mauerfall. In nur elf Monaten die Nationalität zu wechseln, plötzlich frei zu sein, reisen zu können, kaufen was das Zeug hält und solange das Portemonnaie Bargeld hergab. Ja, plötzlich war alles möglich. Doch der innere Prozess fehlte, denn die Schnelllebigkeit des Jahres 1989 – 1990 war genauso einzigartig. Kaum jemand wusste, was gestern war und wo man morgen ankommen würde. Wäre ich nicht ein Jahr lang durch das sich verändernde Berlin gezogen und hätte hunderte von Fotos gemacht, dann gäbe es wohl kaum noch Erinnerungen an das letzte Jahr der DDR und das erste Lebensjahr meiner Tochter.

Emotional festgefahren: Generation 20+ im Jahr 1990

In mir kann ich spüren, dass ich emotional in dieser Phase der Geschichtsbewältigung hängengeblieben bin. Und womöglich viele andere Menschen ebenso. Wir sind nicht abgeholt worden, sondern wurden in das eiskalte Wasser der Freiheit geworfen. Ob wir wollten oder nicht, wer nicht wollte, wurde mitgeschliffen. Ebenso diejenigen, die etwas anderes wollten. Es gab keine Optionen. Ohne wenn und aber gab es nur die Wiedervereinigung.

Heute sehe ich den Unterton etwas klarer: Wir sollten auch der Rettung wegen glücklich sein. Einheitskanzler Kohl hat uns armselige Kreaturen aus dem dunklen DDR-Loch gerettet. Tatsächlich? So Grau habe ich das gar nicht in Erinnerung. Im Gegenteil, das Leben war im Inneren bunt, wenn auch vom äusserlichen Grau gezeichnet. Das Leben fand innen statt. Und weil so wenig ausgesprochen werden konnte, bedienten sich Viele der Kunst. So hat unser Land viele Musiker, Schriftsteller und Fotografen hervorgebracht, die den Alltag in ihrer Form abbildeten.

Mein Fazit an diesem Tag: Berlin hat sich verändert. Streckenweise so stark, dass es einem den Atem nimmt. Doch wie lange kann die aufgehübschte Innenstadt die verirrt-politische Situation im Land kaschieren?

Nach der Innenstadt Berlins führt es mich später in den Friedrichshain. Hier bin ich aufgewachsen, bin in die Franz-Stenzer-Oberschule gegangen und habe im Planschbecken auf dem Boxhagener Platz im Sommer gespielt. Folgen Sie der Kolumne auf Twitter, Instagram oder Facebook, um diesen nächsten Teil zu lesen.

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