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mauerfall, 9. november 1989, kolumne, lifestyle magazin

Mauerfall, der 9. November 1989

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Die Autorin Daniela Shams

Der Tag vom Mauerfall am 9. November 1989 begann völlig normal. Es kriselte gewaltig in der DDR, wöchentliche Demonstrationen im ganzen Land, die einen Monat vorher mit schrillem Knirschen die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR überzogen. Seitdem war keine Ruhe mehr, und doch musste ich halbwegs ruhig sein. Denn im September 89 war ich gerade Mutter geworden und war sozusagen in meiner völlig neuen Babywelt. Fünf Tage vorher hatte ich gemeinsam mit einer halben Million Menschen! für den Erhalt unseres Landes, aber tiefgreifende Veränderungen in der DDR demonstriert. Doch Mauerfall und das Ende meines Landes waren nicht mehr aufzuhalten.

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Der 4. November 1989 und es sind 500.000 Menschen auf dem Alexanderplatz © Daniela Shams

Schabowski bringt unsere kleine Welt ins Wanken

Wie kam es zum Mauerfall?

Es war Abend, ich sass auf dem roten Filzteppich meiner Ein-Zimmer-Wohnung mit Aussentoilette. Der kleine Robotron Fernseher lief, gegen 20 Uhr die Nachrichten. Dann eine Sondersendung zu einer eiligst einberufenen Pressekonferenz. Es war wichtig in diesen Tagen, zuzuhören. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren. Günther Schabowski am langen Tisch beantwortet die Fragen der Journalisten.

Immer ein wenig selbstgefällig, dennoch offener und – wenn man es so nennen will, auch ein bisschen sympathisch. Jemand kommt von der Seite herein und übergibt ihm eine Din-A4-Seite. Ein Papier. Noch immer sehe ich die Gestalt in dunkler Kleidung. Schabowski liest, sofort bestürmen ihn die Journalisten, welche Mitteilung er erhalten hätte.

Der Mauerfall lag im Moment der Pressekonferenz noch in weiter Ferne

Augenscheinlich weiss er nicht Bescheid, denn er muss die Nachricht ablesen: „… können ab sofort Bürger der DDR mit vorheriger Antragstellung die DDR verlassen.“ Worte, die ich nie in meinem Leben vergessen werden. Stimmen werden laut, Journalisten rufen, fragen, was dies bedeuten werde. Erst jetzt wird noch deutlicher, dass er nicht viel sagen kann. Das Politbüro informiert Schabowski bei wichtigen Fragen nicht? – geht es mir durch den Kopf.

Er wiederholt den Satz nochmals und beteuert, dass er auch nicht genau wüsste, was das zu bedeuten hat. Liest den Satz ein weiteres Mal und versucht, Haltung zu bewahren. Man sieht ihm die Verunsicherung an, nachvollziehbar, bei einer Live-geschalteten Pressekonferenz. Er wählt sorgfältig jedes Wort aus und zitiert einfach. Was soll er auch tun? Ratlosigkeit steht in Schabowskis Gesicht geschrieben. Das Wort Mauerfall ist in diesem Moment noch nicht geboren.

Die Berliner Mauer ist offen?

Ich höre diesen Satz, den Tumult und mache einfach weiter. Sitzend in meiner kleinen Wohnung erlebe ich den Moment, der geschichtlich gesehen wohl ein Versehen war. Denn augenscheinlich geht es der Regierung der DDR wohl eher um die tausenden von Ausreiseanträgen, die ohnehin auf dem Tisch lagen. Ich bezweifle, dass die Maueröffnung von Erich Honecker und Gefolgschaft in dieser Form so geplant oder gewollt war. Noch ahne ich nichts. Ohnehin hatte ich vorher beschlossen, nicht in den Westen zu gehen.

Wenn Du Anfang 20 bist und Dir der Füssen unter den Boden weggezerrt wird, dann tut das weh. Der Schmerz über den Verlust ist geblieben. Das Gefühl, überrollt worden zu sein und ungefragt, ein neues Kleid übergestülpt zu bekommen. Wer an dieser Stelle sagt: Ja, die DDR war am Ende versteht nicht, wofür wir am Ende der DDR gekämpft haben. 

Nach dem Mauerfall: Die Mauer hat Löcher und alle schauen durch. © Daniela Shams

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Eine halbe Stunde später steht ein Freund vor der Tür und fragt, was ich von der Pressekonferenz halte. Ich antworte, dass es wohl nur für Reisen und Ausreiseanträge gilt. Und dass wir vielleicht jetzt ohne lange Wartezeit reisen können wohin wir wollen. Er glaubt, die Grenze sei offen. Ich kann es mir nicht vorstellen. Er will zur Friedrichstrasse und Brandenburger Tor. Ich hänge meinen Gedanken nach und ca. zehn Minuten später rappelt es mich hoch. In den Strassen höre ich Autos fahren.

Sie sind schnell, viel zu schnell!

Eines, dann noch eines. Ein weiteres. Mein Baby schläft und ich denke: Ich fahre mal schnell zur Bornholmer Strasse. Ich wohnte in der Nähe der Gethsemanékirche und es war nicht weit. Mit absolut sicherem Gefühl, dass ich in ein paar Minuten wieder zu Hause sei, fuhr ich dorthin. Noch mehr Autos in der Schönhauser Allee, alle gefüllt bis auf den letzten Platz.

Als ich an der Bornholmer Brücke ankomme, sehe ich tausende von Menschen Nicht nur an, sondern vor allem auch auf der Brücke! Das war Grenzgebiet und im Grunde schon Westen! Im völligen Rausch passierte ich die Grenzkontrolle, die Brücke – alle weinten, lachten, freuten sich. Alle Menschen waren im Taumel. Noch während ich den ersten Schritt nach West-Berlin setzte, fragte ich mich, ob mich die Grenzpolizei wieder zurück lassen würde. Ich wollte wieder zurück, in mein Zuhause, in mein Land.

Der nächste Morgen war mehr als verrückt, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Das Leben war auf den Kopf gestellt. Alle Nachrichtensender zeigten Bilder von der Grenzöffnung, nicht nur in Berlin, sondern auch entlang der westdeutschen Grenze. Lachende, glückliche Menschen.

Eine weitere, interessante Geschichte zum Mauerfall kommt von Mathias Baxmann, der den Artikel „Es geschah zwischen Priwall und Brook“ geschrieben hat. In jedem Falle lesenswert!

Alles, was dem Mauerfall folgte, gehört zu einer anderen Geschichte …