28. März 2024 Ihr unabhängiges Lifestyle Magazin L4U
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Gone with the Wind sprichwörtlich vom Winde verweht?

von Daniela Shams – Read this article in English.

Wie rassistisch ist Vom Winde verweht wirklich?

Eine Entscheidung, die nur Kopf schütteln verursacht. HBO meldet, einen der bedeutendsten Filmklassiker „Vom Winde verweht“ eine zeitlang aus dem Programm zu nehmen und setzt sich den Hut des Wendehalses auf. Der Programmanbieter hatte Jahrzehnte Zeit, um Haltung zu zeigen, hat es aber vorgezogen, statt dessen finanziellen Profit aus der ungebremsten Nachfrage des Filmes ziehen. 

Die Fahne nach dem Wind drehen 

Es stellt sich eine Frage: Bedeutet zeitlich befristet, sobald der Rassismus bekämpft wurde, darf der Film wieder ins Programm und ist dann nicht mehr rassistisch? Oder warten wir einfach ab, bis sich die Wogen wieder geglättet haben, um den Film dann stillschweigend wieder ins Programm zu nehmen? 

Vom Winde verweht ist die Auseinandersetzung amerikanischer Geschichte

Man muss den Hauptvorwurf, der „Denunzierung rassistischer Darstellungen“ schon sehr verdrehen, um eine solche Erklärung abzugeben. Denn auch 1939 war für Filmemacher wie David O. Selznick, George Cukor, Victor Fleming inklusive der Schauspieler Rassismus ein Thema, das während der Dreharbeiten besprochen wurde. Anders wäre es auch nicht möglich. Denn die gesamte Handlung des Films basiert auf der Kontroverse der Versklavung des 19. Jahrhunderts, der der Bürgerkrieg folgte. Deshalb wäre der Film ohne schwarze Darsteller, entsprechender Dialoge und Handlungen völlig sinnlos.

So gibt es die Szene, in der Vivien Leigh ihrem Butler eine Ohrfeige verpasst. Dieser beschwerte sich, dass Vivien etwas zu hart zugeschlagen hätte, worauf sich nicht nur Vivien Leigh entschuldigte, sondern auch die Produktion. Die Szene wurde noch einmal gedreht, mit einer abgeschwächten Ohrfeige und im Ton nachbearbeitet.

Vivien Leigh entschuldigte sich übrigens aus vollem Herzen und erklärte, dass sie in keinster Weise rassistische Absichten gehabt hätte. Ihre Entschuldigung wurde dankbar angenommen, die Schauspieler hatten ohnehin ein gutes Verhältnis zueinander. Auf den Punkt ist hingegen die Tatsache, dass sich schwarze Schauspieler die Premiere des Films nicht im Kino anschauen konnten, weil der Zutritt nur Weissen erlaubt war. Interessant nicht wahr, dass es jene sind, die mit dem Film Gewinne machen, an den rassistischen Strippen ziehen. 

Vom Winde verweht ist in jeder Hinsicht ein Kunstwerk

Man muss kein Liebhaber von romantischen Filmen sein. Aber jeder, der sich auch nur annähernd für Film, Schauspielkunst, Dramaturgie, Licht und Storytelling interessiert, sollte „Gone with the wind“ gesehen haben. Es gibt keinen Film, der seit rund 80 Jahren anhaltend so erfolgreich ist wie „Vom Winde verweht“. Dieser Erfolg ist das Ergebnis eines beispiellosen Gesamtkunstwerks, entstanden in einem nie da gewesenen Schaffensprozess.

Es gibt weltweit keinen Film, indem 2000 Darsteller und Komparsen mit handgenähten Kleidern des 19. Jahrhunderts ausgestattet wurden wie in „Vom Winde verweht“. Vivien Leigh war erstaunt, dass selbst die Unterröcke der rauschenden Kleider echt waren und bemerkte, dass im Kino niemand diese Unterröcke sehen würde. O. Selznick erwiderte: „Aber DU weisst es. Und Du bewegst Dich anders in einem echten Unterrock.“

Die Szene des grossen Feuers in Atlanta konnte nur mit diversen Kulissen anderer Filme gedreht werden. Bedenken wir die begrenzten, technischen Möglichkeiten der 30er Jahre. Die Szene musste beim ersten Mal sitzen, eine Wiederholung wäre undenkbar gewesen. Es wurden sieben Kameras aufgestellt, die das riesige Feuer aus verschiedenen Perspektiven drehten, woraus die berühmte Szene der Flucht aus Atlanta entstand. So brannte die Kulisse aus der damaligen Version von „King Kong“ in der Atlanta Szene lichterloh. 

Haben Sie mal eben zwei Jahre Zeit und Geld?

David Cukor, der erste Regisseur suchte mit dem Produzenten Victor Flaming, später auch mit O. Selznick zwei Jahre lang nach der Hauptdarstellerin des Films! Tausende von jungen Frauen und angehenden Schauspielerinnen wurden gecastet, bis mit Vivien Leigh die perfekte Erscheinung der Scarlett O’Hara gefunden war.

Kunst ist die Auseinandersetzung mit der Gegenwart

Die Verantwortlichen, die heute solche Index-Entscheidungen treffen, sollten ihre Fahne weniger nach dem Wind drehen und statt dessen öfter ihren Kopf benutzen. Indem man den Film „Vom Winde verweht“ aus dem Programm nimmt, werden keine gesellschaftlichen Prozesse verändert. Vor allem, weil weder das Buch noch der Film Rassismus gegen Schwarze beschönigen, sondern sich mit der Thematik auseinandersetzen. Und genau hier liegt der Punkt. Die Auseinandersetzung mit Thematiken beschreibt nicht, dass man deren Position bezieht. Statt dessen ist es ein Lernprozess, bei dem sich Verständnis für Vorgänge entwickelt, Wissen heranreift. 

Man muss die Vergangenheit kennen um die Gegenwart zu verstehen 

Wer den amerikanischen Rassismus von heute verstehen will, muss sich mit der Geschichte auseinandersetzen. Die Versklavung schwarzer Menschen war bereits im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861 bis 1865 ein Thema. Wie soll man den Ursprung des amerikanischen Rassismus verstehen, wenn bei neuen Übersetzungen die hitzige Brisanz von 1861 nicht sprachlich verdeutlicht wird? Bestimmte Begriffe wie „Negro“, die im Buch und Film verwendet wurden, mögen heute nicht mehr relevant sein. In der Auseinandersetzung des Themas waren sie jedoch zentral und stellen die damalige Zeit vor dem Bürgerkrieg dar. Deshalb sprechen wir ja auch von „darstellender Kunst“. 

Ich frage mich an dieser Stelle, würden wir dem David von Michelango heute etwas anziehen, weil es nicht in die moderne Zeit passt, sich nackt zu präsentieren? 

Hier, und sogar noch viel früher lassen sich die Ursprünge des Rassismus finden, der bis heute in den USA vorhanden ist. Eben jener Krieg war das Resultat einer langen Diskussion über die Versklavung. Wer heute „Vom Winde verweht“ aus dem Programm streicht, entzieht der Öffentlichkeit eher einen wichtigen Teil amerikanischer Geschichte: Den Wurzeln des Rassismus in den USA.