Wie sich Künstler vom Virus infizieren lassen
von Ewald König
Unbemerkt schleicht sich das Coronavirus auch in Ateliers ein. Es infiziert den Schaffensdrang von Bildenden Künstlern und beschäftigt sie mit seiner Herkunft, seinem Wesen und seiner Wirkung.
Der russischstämmige Berliner Künstler Slava Nikolaev ist einer von ihnen. Corona-bedingt lebt er selbst in Isolation und nimmt den Kampf mit Covid-19 auf. Ein Kampf, der auf der Leinwand und im Internet ausgetragen wird. Wer ist dieser Gegner? Wie lässt sich das Unsichtbare sichtbar machen? Während andere mit Schutzmaske und Abstandhalten versuchen, die Weiterverbreitung zu verhindern, arbeitet Slava Nikolaev geradezu an der Weiterverbreitung. Freilich nicht in Form gefährlicher Tröpfchen, sondern in Form fantasievoller Illustrationen.
Das Virus bekommt ein Gesicht
Slava Nikolaev zeichnet derzeit eine neue Reihe von Bildern voll Kraft und Optimismus. „Das aggressive Protoplasma wird nicht in der Lage sein, die Menschheit zu besiegen“, ist er überzeugt. Eines seiner jüngsten Werke gibt dem Coronavirus Gesicht und Gestalt. Es ist ein flügeliges Ungeziefer, auf dessen Kopf eine Krone sitzt, eine Krone in der bekannten Corona-Form. Das überdimensionale Wesen, eine Mischung aus Fliege, Heuschrecke und Flugzeug, schwirrt einem eingezäunten Geviert entgegen, in dem sich menschliche Figuren erahnen lassen. Dabei wirbelt das Flugungeheuer unzählige Winzigkeiten auf, als würde es all die gefährdeten Leben in einzelne Momente zerlegen und bewusst durcheinander bringen. Jeder Betrachter kann Momente seines eigenen Lebens herauslesen.
Slava Nikolaev stammt aus der russischen Stadt Bryansk, etwa 400 Kilometer südwestlich von Moskau. Geboren 1960, machte er ein Design-Studium an der Hochschule für moderne Technik in Bryansk. Seine ersten Karikaturen erschienen in der russischen Zeitschrift Bryansk Time sowie im US-amerikanischen Magazin The Oregonian. Als Setdesigner war er an den Hollywood-Produktionen „Enemy at the Gates“ von Jean-Jacques Annaud und Roman Polanskis „The Pianist“ (3 Oscars) sowie bei István Szabós Film „Taking Sides – Der Fall Furtwängler“ beteiligt.
Slava Nikolaev im Rahmen einer Gemeinschafts-Ausstellung, hinter ihm deshalb Werke anderer Künstler. © Korrespondenten.com
Seit 1996 lebt er in Berlin. Viele Veröffentlichungen, zahlreiche Ausstellungen in Deutschland und im Ausland sowie die Beteiligung an Kunstauktionen machten ihn bekannt.
Kunst verführt und öffnet den Geist
Seine Technik ist einzigartig und unverwechselbar, die Dimensionen seines Schaffens hingegen sind äußerst vielfältig. Die typische Nikolaev-Technik besteht aus geduldigem Übereinanderschichten von Acryl, Tinte und eigens vom Künstler selbst entwickelten Lacken. Das verführt den Betrachter zu unendlich vielen Entdeckungen und Ahnungen, was der Künstler auf mehreren Ebenen ausdrücken wollte. Hier liest man nicht zwischen den Zeilen, sondern zwischen den Farbschichten.
Die Dimensionen sind vielseitig: Gemälde und Grafiken, Karikaturen und Cartoonserien, Buchillustrationen und Design bis hin zur Kunsttischlerei. Schwere politische Themen und historische Allegorien wechseln einander ab mit praller Erotik und allzu Menschlichem, immer überraschend, immer kraftvoll, auch bei traurigen Themen immer optimistisch.
Im Gegensatz zu anderen Künstlern liefert er nicht gerne Erklärungen zu seinen Werken. Er drückt sich nicht in Worten aus, sondern in Pinselstrichen. In einem der extrem seltenen und stets kurzen Interviews verriet er ein bisschen über sich: „Ich kann nicht ohne Kunst leben. Mit Kunst kann ich mehr sagen als mit Worten. Ich male und zeichne ununterbrochen.“ Davon zeugen allein die vielen Tausend Karikaturen, die Nikolaev für den russischsprachigen Medienkonzern Russkaja Germanjia produziert hat. „Nur in den Pausen wurde ich Ehemann, Vater und Großvater.“ Aussagen mit Augenzwinkern gehören zu seinen Bildern, aber auch zu seinen Interviewantworten. Etwa auf die Frage, ob er sich erinnern könne, wann er zum ersten Mal Künstler werden wollte: „Meine Erinnerung sagt mir, dass ich schon als Künstler geboren wurde.“
Mitte Mai werden zwei Bilder von Slava Nikolaev im Berliner Auktionshaus Nosbüsch & Stucke versteigert. Beide sind etwa 40 mal 30 Zentimeter groß, beide sind signiert und datiert. Das eine (Lot 2138) stammt aus 2010, das andere (Lot 2139) aus dem Jahr 2018. Beide Werke entstanden in der für Nikolaev typischen Mischtechnik aus Acryl und Fineliner. Die Auktion ist die einmalige Gelegenheit, Unikate von Slava Nikolaev zu günstigen Preisen zu erwerben (Startpreis jeweils 600 Euro).
Corona-bedingt ist der Zutritt zur Saalauktion in der Fasanenstraße 28 (10719 Berlin) eingeschränkt. Die Auktion lässt sich live im Internet verfolgen, Mitbieten ist per Mausklick möglich (nähere Informationen: https://nosbuesch-stucke.berlin).
Trotz allem: Der Künstler rechnet damit, dass die Coronakrise in absehbarer Zeit zu Ende ist und bald tausende Menschen die neue Serie seiner Bilder auf Ausstellungen bestaunen können.
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