28. April 2024 Ihr unabhängiges Lifestyle Magazin L4U
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Das ägyptische Bewässerungssystem: So überlebt die Landwirtschaft

Nun. Vielleicht werden Sie sich fragen, was interessant ist am Bewässerungssystem Ägypten. Zum einen sind es historische Aspekte, die mich ich eine Brücke in die Gegenwart ziehen lassen. Zum anderen ist es der gesamte Blick auf ein Land, das heute 100 Millionen Menschen ernähren muss und gleichzeitig weniger als 5 % seiner vorhandenen Fläche kultiviert. In diesem Teil der Reportage „Auf dem Land“ schauen wir auf die installierten Kanäle, die einerseits das Wasser vom Nil zu den Feldern leiten. Aber auch andere Kanäle, die wohl kaum jemand im Land der Wüste vermuten würde. 

Wasser ist Lebensgrundlage – Immer, ohne Ausnahme

Es braucht enorme Wassermengen, um die riesigen Felder zu bearbeiten und gleichzeitig ausreichend Ernte einzufahren. Zumal die Böden mehrmals im Jahr mit Zuckerrohr, Mulukheya, Bamya, Mais oder Bohnen kultiviert werden. Einmal mehr zeigt die Situation in Ägypten, wie lebensnotwendig Wasser ist und dass darüber kein Streit entfacht oder die Quellen etwa privatisiert werden dürfen. Nicht nur der Mensch braucht Wasser, auch die Tiere. Wer an dieser Stelle glaubt, ein vegetarischer Lebensstil würde helfen, irrt. Was die Tiere mit Fleisch, Fett und Milch abgeben, könnte durch eine rein pflanzliche Ernährung gar nicht aufgefangen werden!

Meine Reportage „Auf dem Land“ schliesst mit dem Blick auf das Farmleben deshalb auch das Bewässerungssystem in Ägypten ein. Und wieder bin ich fasziniert, denn …

… das ägyptische Kanalsystem beginnt bei den Pharaonen

Vor dem heute so wichtigen Suezkanal war es der „Kanal der Pharaonen“, der in der Antike gebaut wurde. Die Alten Ägypter wussten schon immer um die Bedeutung des Wassers und begannen frühzeitig mit dem Bau solcher Kanäle. Durch sie wurde die Wasserversorgung der Menschen gewährleistet und natürlich auch der Anbau landwirtschaftlicher Produkte. Auf meiner Fahrt durch die Region Qena traf ich auf verschiedene Wasserkanäle. Einige waren befüllt, andere wiederum leer, vertrocknet und sogar mit Pflanzen überwuchert. 

Kleiner Kanal mit grosser Wirkung

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Von den Kanälen aus wird das Wasser auf die Felder gepumpt | @ Daniela Shams

Das Problem: Ohne ausreichend Wasser im Nil könnten diese Felder nicht mehr bewässert werden, enorme Ernteausfälle wären die Folge. Ägypten würde zunehmend von teuren Importen abhängig, die Stabilität würde ins Wanken geraten. In Ägypten geht es nicht nur um das Wasser. Aber es ist zweifelsohne der Schlüssel zu Macht, Politik und durch ein Teleskop betrachtet auch um einen möglichen Landgewinn.

Die Gefahr für das Bewässerungssystem Ägypten: Weniger Wasser

Zu Schwierigkeiten könnte es leicht kommen. Erst kürzlich (Anfang Juli 2021) hat der ägyptische Präsident Sisi davor gewarnt, dass die problematische Situation mit dem äthiopischen Staudamm (GERD) sehr ernst für Ägypten aber vor allem auch höchst problematisch für die gesamte Nah-Ost-Situation werden könnte. Dies geschah nach der Ankündigung, Äthiopien wolle den neuen Damm befüllen.

Denn das Riesenprojekt steht in der Kritik, Ägypten sprichwörtlich den Hahn abzudrehen. Schon jetzt bzw. seit Jahren strömt weitaus weniger Wasser den Nil entlang als noch vor 20, 30 Jahren. Dies wurde mir auch bei meinem Besuch auf der Mangofarm bestätigt.

Ägypten hat ein eigenes Drainage System

Und genau diese Drainage fasziniert hier, wo nichts wächst. Wo der Sand an den Füssen brennt, der Asphalt unter der Hitze reisst und Beduinen noch immer das Wasser auf dem Kopf über lange Wege tragen. Denn in der Region Luxor / Rotes Meer sprechen wir von riesigen Wüstengebieten, die wiederum durch das kilometerlange Bergmassiv getrennt sind. Nur wenige Male im Jahr gibt es in der Region diese heftigen Regenfälle, die so stark sind, dass sie das Land überschwemmen.

Das Bewässerungssystem Ägypten nutzt natürliche Ressourcen

Beziffert wird die Regenwassermenge in Ägypten mit 1,6 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Diese Regenmassen werden durch die erbauten Kanäle aufgefangen und zur Nutzung bereitgestellt. Die in der Wüste lebenden Beduinen und Stämme haben somit ebenfalls Zugang zum Trinkwasser. Gleichzeitig wird das aufgefangene Regenwasser zur Auffüllung der Grundwasserressourcen genutzt. 

Solche Massnahmen sind sinnvoll und wichtig, denn nach wie vor wird Salzwasser zur Nutzung gewonnen. Dieses muss jedoch in ersten Schritten entsalzt werden, sodass die zusätzlichen Regenwassermengen einen wichtigen Beitrag zur Entsalzung leisten. Man bekommt unweigerlich das Gefühl, Ägypten ringt um jeden Tropfen Wasser.

So fühlt sich Wassermangel in der Wüste an

Persönlich weiss ich, wie sich Wasserknappheit im Wüstenland anfühlt. In den Jahren, in denen ich in Ägypten lebte, wurde das Wasser mit Tankwagen angefahren, dann die Tanks auf dem Dach befüllt. Ein Tank mit dem Volumen von 4000 Liter. In sehr heissen Monaten konnte es durchaus vorkommen, dass das Wasser aufgebraucht war und man bis zum nächsten Tag warten mussten, um duschen oder das Geschirr waschen zu können.

Die sogenannten Floods habe ich 1996 in Hurghada erlebt. Der Himmel war fast blutrot, das Meer erzeugte einen Tag vorher ungewöhnliche hohe und breite Wellen. So stark, dass ich das erste Mal seekrank wurde. Die Schiffe und Boote waren unter diesen Bedingungen schwer zu navigieren. Dann am nächsten Tag begann es zu regnen, zu regnen, zu regnen. Innerhalb eines Tages stand das Wasser in der Innenstadt einen Meter hoch.

Schätze, was Du hast – Mag es noch so klein sein

Einige der alten Wohnhäuser zerbrachen fast unter dem plötzlich eintretenden Wasser, das vor allem nicht abfliessen konnte, weil es keine Kanalisation gibt. Der Strom fiel für eine Woche aus. Die Versorgung der Lebensmittel war für mehrere Tage unterbrochen, auch die Kerzen gingen bald aus. Als Europäerin war diese Situation surreal. Aber eine Lektion, die mich nicht nur Wasser schätzen lehrte. 

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Sie laufen quer durch das Land und füllen sich nur bei starkem Regen. | © Daniela Shams

Mit diesen Bildern im Kopf sehe ich die Kanäle zur Regenwassernutzung aus einer wichtigen Perspektive. Selbst wenn es nur ein oder zweimal im Jahr regnet, erscheint es sinnvoll, diese heftigen Wassermengen über Kanäle aufzufangen. Diese beginnen in der südlichen Region von Safaga und verlaufen ins Landesinnere zum Nil. Selbst für ein einmaliges Ereignis im Jahr ist jeder Regenguss im Land der Wüste willkommen. Recht haben sie, die Ägypter. Aus solchen Situationen heraus wächst Wertschätzung. 

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Auf dem Land | @ Daniela Shams

Kennen Sie die Reportage „Auf dem Land“?

Der erste Teil spricht über das eine Mangofarm in Ägypten. Eine faszinierende Reportage von Daniela Shams.

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Mit dem Gedanken zurück in den eigenen Alltag möchte ich Sie ermutigen hinzuschauen: Läuft das Wasser beim Zähne putzen? Bewässern Sie Ihre Beete mit Leitungswasser? Vielleicht wäre es an der Zeit, jetzt auf Regentonnen zu setzen. Nicht um die Welt zu retten, sondern um etwas Sinnvolles zu tun.

Quellen: GERD construction May stall because of Financial problems

https://www.researchgate.net/publication/280621730_Drainage_basins_and_flash_floods_management_in_the_area_southeast_Qena_Eastern_Desert_Egypt